Notgeld der Stadt Gunzenhausen - 1 Milliarde Mark
Foto: Marktplatz
Notgeld der Stadt Gunzenhausen - 1 Milliarde Mark
Notgeld der Stadt Gunzenhausen - 1 Million Mark

Menschen, Tiere, Sensationen. Ein Blick in die Gunzenhäuser Vergnügungsgeschichte.

von Manuel Grosser

Menagerie 1880 | Quelle: Stadtarchiv Gunzenhausen

Während der einzelnen Lockdowns in der Corona-Pandemie war die Durchführung von Veranstaltungen nicht machbar und Ablenkungen vom Arbeitsalltag entfielen somit restlos.

 

Wegen des immensen Nachholbedarfes an Vergnügungen stürzten sich die Menschen nach den Lockerungen quasi auf jedwede sich bietende Gelegenheit. Auch in diesem Zusammenhang stellte sich die Frage, wie die Gunzenhäuser Bevölkerung in längst vergangenen Zeiten bespaßt wurde.

 

Es musste nicht unbedingt ein bestimmter Anlass wie Jahrmarkt, Vereinsjubiläum oder Kirchweih sein, an dem durchreisende Akrobaten, Seiltänzer, Jongleure, Bärenführer, Possenreißer, Kartenleger oder Feuerschlucker in die Altmühlstadt kamen, um vor zahlreichem Publikum ihre Kunststücke vorzuführen. 

 

Schon vor Jahrhunderten waren Marktplatz und Schießwasen besonders geeignete Standorte zum Aufbau von Buden und bunten Zelten der Schausteller. Hinzu kamen im 19. Jahrhundert die jeweils mit großen Sälen ausgestatteten  Gasthöfe ‚Fränkischer Hof‘ bzw. ‚Goldener Adler‘, in denen hunderte von staunenden Besuchern entsprechende Veranstaltungen verfolgten.

 

Fernseher und Internet waren zu jener Zeit natürlich noch unbekannt, sodass die unterschiedlichsten Livedarbietungen die einzige Chance darstellten, um Menschen und Tiere aus weit entfernten Ländern und Kontinenten zu begegnen, was für viele Gunzenhäuser oftmals die erste Begegnung mit einer ihnen exotisch und fremd anmutenden Welt, außerhalb ihrer eng umgrenzten fränkischen Heimat bedeutete.

 

Regelmäßig besuchten Zirkusse, Menagerien oder Tierschauen die Stadt und sorgten mit einem vielfältigen Programm für Nervenkitzel. Offensichtlich spielte auch ein gewisser Komfort der Einrichtung eine nicht unbedeutende Rolle beim Publikum, da in einem Zeitungsinserat von 1864 der anwesende Zirkus Straßburger auf seine elegante Ausstattung mit vielen Annehmlichkeiten verwies.

 

Die berühmte Menagerie Berg kam beispielsweise 1894 nach Gunzenhausen und präsentierte auf 550 Quadratmetern exotische Tiere. Bei einem weiteren Besuch 1896 überschlug sich die Zeitung mit den Superlativen „weltberühmte Menagerie“ bzw. „größte wandernde Raubtier-Ausstellung der Gegenwart“. Tatsächlich beeindruckt die Aufzählung der gezeigten Tiere: Löwen, Tiger, Panther, Leoparden, Jaguare, Pumas, Eisbären, schwarze und braune Bären, Hyänen, Wölfe, Lamas, Antilopen, Affen, Schlangen und mit „Benno“, den größten Elefanten der Welt.

 

Bis in die jüngere Vergangenheit gehörten Tierschauen und Zirkusse mit teilweise bekannten Namen wie Hagenbeck, Traber oder Krone, zu den Publikumsmagneten in Gunzenhausen. Heute unvorstellbar, damals allerdings nichts Ungewöhnliches war die so genannte Abnormitätenschau, eine Zurschaustellung primär behinderter bzw. missgebildeter Menschen oder auch von Bewohnern ferner Länder. Dazu muss man wissen, dass es für Menschen mit Handicap in jenen Zeiten oftmals die einzige Möglichkeit darstellte, sich durch das eigene Zurschaustellen auf Volksfesten und Jahrmärkten, den Lebensunterhalt zu sichern.   

 

1864 und 1890 wurden nachweislich dunkelhäutige Menschen in Gunzenhausen als Attraktionen gezeigt, u.a. im berühmten Theater Schichtl wo „der Schwarze ein Faß in den Zähnen balancierte und zwei schwere Herren, ohne daß das Faß mit den Händen anzurühren, herumtrug“.

 

1898 zeigte sich Jakob Schneider, als so genannter Kolossalmensch, den neugierigen Gunzenhäusern. Seine Besonderheit bestand lediglich darin, dass er 240 Kilogramm wog und angeblich in einem Güterwaggon der Eisenbahn anreiste. Selbst Kinder waren von derartigen Präsentationen nicht ausgenommen, wie 1899 das Beispiel der achtjährigen Marietta zeigt. Sie wurde als „Leopardenkind“ angekündigt, deren Körper „nach Tigerart befleckt, gepanthert und behaart“ ist. Ein entsprechender Zeitungsbericht gipfelte in der Aussage, dass das Mädchen „geistig rege und sehr zutraulich ist. Wir raten Jedermann, der sich für die Anthropologie interessiert, sich diese Rarität einmal anzusehen“.

 

Ebenfalls sind mehrere Auftritte kleinwüchsiger Menschen, als Zwerge und Liliputaner bezeichnet, bekannt. Aus der Tierwelt fanden Kuriositäten wie z.B. ein Pferd mit acht Füßen, ein Kalb mit zwei Nasen, Zwergpferde, Riesenochsen, Riesenschlangen oder Riesenschweine, stets ein interessiertes Publikum in Gunzenhausen.

 

Eine weitere Kategorie der Vergnügungskultur deckten Panoptikum, mechanische und optische Schausteller sowie Varieté ab, die teilweise unter pseudowissenschaftlichen Aspekten ihre Darbietungen auch einem akademisch gebildeten Publikum näherbringen wollten und deshalb u.a. als Museen für Naturwissenschaft oder Technik firmierten.

 

1878 kam Direktor Dühringer mit seinem wissenschaftlichen Museum nach Gunzenhausen; 1896 brachte „Kullmanns Museum und Panoptikum für Kunst und Wissenschaft“ die große, weite Welt hierher. Sein „hervorragendes Institut“ bot das Neueste der Wachsplastik, Modellierkunst, Automaten oder plastische Kunstwerke. Vor allem Schaubuden mit Wachsfiguren waren äußerst beliebt. Künstlerisch mehr oder weniger gelungene Figuren stellten regierende Kaiser und Könige, zeitgenössische Politiker, Dichter oder Komponisten dar.

 

Separate Abteilungen zeigten ausschließlich für Erwachsene gruselige Mord- und Hinrichtungsszenarien. Aber auch Abbildungen des nackten menschlichen Körpers oder Wachspräparate von Geschlechtskrankheiten wie beispielsweise 1906 die anatomische Schau „Im Sumpfe der Großstadt und ihre Folgen“.

 

Publikumsmagnete waren auch die so genannten Panoramen. Dank des technischen Entwicklungsstandes setzte man bildliche Darstellungen fremder Länder und Kulturen bzw. politisch-historischer Ereignisse effektvoll in Szene. Dies geschah anfänglich durch Rundgemälde oder Tafelbilder mit teilweise beachtlichen Ausmaßen, später ergänzt durch einfache Guckkästen oder aufwändig installierte optische Gläser. Auf diese Art und Weise konnte auch die Bevölkerung ländlicher Regionen am großen Weltgeschehen teilhaben.

Werner Mühlhäußer

Zurück